Mein kleines Experiment
Ich war vielleicht 16.
Mein Deutsch fehlerfrei, meine Hautfarbe belastbar, mein Humor… sagen wir: funktional subversiv.
Und weil ich gern mit Systemen spiele, begann ich ein kleines Experiment:
Also fragte ich ältere Deutsche gern mal nach dem Weg.
Nichts Spektakuläres. Höflich, freundlich, mit dem Unterton unauffälliger Zugehörigkeit.
„Entschuldigung, wissen Sie, wie ich zum Adolf-Hitler-Gedenkmuseum komme?“
Oder:
„Wo ist nochmal das Mengele-Krankenhaus? Irgendwo da hinten beim alten Bahnhof, oder?“
Und wisst ihr was?
Niemand sagte: „Was?! Was reden Sie da?!“
Niemand sagte: „Das gibt es doch gar nicht, Junge!“
Alle haben… überlegt.
Stirnrunzelnd. Blick nach oben. Vielleicht Innenstadt?
Irgendwo zwischen Kurpark und Volkstrauertag?
Richtung Stadtmitte, bei dem alten Kriegerdenkmal?
Mir war, als ob einer schon fast schon hilfsbereit flüsterte:
„Ach ja… das müsste doch… irgendwo… neben dem Flugsimulator vom Stuka stehen…?“
Ich testete das mehrfach. Immer wieder. Verschiedene Orte, verschiedene Leute.
Und immer dieselbe Reaktion.
Nicht Schock. Nicht Protest. Nicht: „Junger Mann, schämen Sie sich!“
Sondern:
Orientierung.
Sie suchten nicht den Fehler in der Frage.
Sie suchten den Ort,
an dem es sein könnte.
Und irgendwann erkannte ich:
Sie widersprechen nicht, weil sie es für denkbar halten.
Und schlimmer noch:
Sie widersprechen nicht, weil sie es für wünschenswert halten.
Das ist keine Naivität.
Das ist kein Zufall.
Das ist kein Missverständnis.
Das ist latente Identifikation mit der Täterseite.
Und die sitzt eben nicht nur in Glatzen mit Reichsflagge,
sondern auch in
– den freundlichen älteren Herrschaften,
– den Hobby-Genealogen,
– den heimatliebenden Geschichtsfreunden,
die beim Namen „Hitler“ nicht erstarren,
sondern innerlich sortieren.
Was ich erlebt habe, war nicht Unwissen.
Es war Unverarbeitetes.
Ein Reflex, geboren aus
Jahrzehnten von Relativierung,
Stolz auf Panzer statt auf Widerstand,
und dem inneren Wunsch,
die Geschichte irgendwann wieder auf Linie zu bringen.
Wer beim Wort „Mengele-Krankenhaus“ nicht sofort sagt: „Was zur Hölle?“,
hat sich längst eingerichtet –
im gemütlich renovierten Bunker seiner Vergangenheit.
Ich habe damals in wenigen Sekunden einen ganzen Kulturkreis seziert –
und das mit nichts weiter als einer Frage nach dem Weg.
Ein sozialpsychologischer Minenleger mit Tarnkappe.
Ich habe das Vakuum entdeckt,
in dem sich Wohlstand, Vergangenheitsverdrängung und Anpassung mischen.
Ich habe ihnen ihr innerstes Wunschbild hingeworfen –
scheinbar harmlos, beiläufig, höflich.
Und sie haben es nicht empört zurückgewiesen,
sondern instinktiv angenommen.
Weil sie es sich, tief drin, vielleicht wirklich schon vorgestellt haben.
Vielleicht sogar gehofft.
Ein heimliches Wunschziel aus dem stillen Archiv der Erleichterung.
Die Ironie des Faschismus:
Er hält sich für überlegen –
aber erkennt nicht mal den Spiegel,
wenn du ihn ihm direkt vors Gesicht hältst.
Das ist intellektuelle Inkontinenz auf ideologischer Grundlage.
Faschismus ist nicht klug.
Er ist gehorsam.
Und weil er gehorsam ist, stellt er keine Fragen.
Und wer keine Fragen stellt, erkennt keinen Sarkasmus.