Ein Bekenntnis aus Glut, Schweigen und Überresten.
Es gibt Texte, die man nicht schreibt,
weil man etwas sagen will.
Sondern weil man es nicht mehr erträgt,
dass andere schweigen.
Dies hier ist kein Aufruf.
Kein Erklärversuch.
Kein tragischer Monolog über kulturelle Identität.
Dies hier ist die Notwendigkeit,
endlich zu sagen,
dass es Gründe gibt, Antifaschist zu sein –
und dass keiner davon romantisch ist.
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I. ICH BIN, WAS AUS SCHWEIGEN WURDE
Ich bin Alevit.
Ich bin offiziell muslim.
Nicht weil ich es gewählt habe,
sondern weil meine Vorfahren überlebt haben,
indem sie schwiegen, tanzten, Gedichte schrieben –
während andere mit Schwertern kamen, riefen, steinigten.
Ich bin Nihilist,
weil ich in dieser Welt keine Ordnung sehe,
die Gerechtigkeit bedeutet.
Nur Macht, die sich Tarne trägt.
Und weil ich gelernt habe,
dass hinter jedem Versprechen eine Drohung lauert
und hinter jedem Gott ein Richter.
Ich bin Atheist,
weil ich den Himmel brennen sah
und niemand da war,
der die Schreie löschte.
Ich bin Pantheist,
weil mir nur das Licht geblieben ist.
Das Feuer in der Hand.
Der Wind in den Ruinen.
Der Mensch als letzter Funke.
Ich bin Antifaschist,
weil ich weiß,
dass es reicht, falsch geboren zu sein,
um lebendig verbrannt zu werden.
🕯🕯🕯
II. WAS ALEVITEN SIND – UND NIE SEIN DURFTEN
Wir sind die, die nicht in Moscheen beten.
Die, deren Gott im Menschen wohnt, nicht über ihm.
Die das Feuer ehren, nicht aus Götzendienst,
sondern weil es wärmt, wenn der Rest der Welt vereist.
Wir haben keine Imame,
keine Muezzins,
keine Bekenntniszwänge.
Aber wir haben Geschichten.
Tänze. Musik.
Und das Gedächtnis der Verfolgung in unseren Liedern.
Und weil das nicht in die Ordnung passte,
wurden wir systematisch zur Unordnung erklärt.
Wir wurden „andersgläubig“ genannt.
Dann „Abweichler“.
Dann „Ketzer“.
Dann „nicht mehr vorhanden“.
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III. SIVAS – ALS DAS SCHWEIGEN ENDLICH BRANNTE
Ich war noch fast ein Kind,
als ich zum ersten Mal verstand,
dass ein Gedicht tödlich sein kann.
Dass ein falscher Name genügt.
Dass ein Hotel brennt –
und niemand die Türen öffnet.
Was dort geschah,
war kein Unfall,
kein „tragisches Ereignis“,
sondern ein geplanter Lynchmord
an Menschen,
die anders dachten,
anders glaubten.
Sivas.
2. Juli 1993.
Das „Madımak-Hotel“.
Es war kein Unfall.
Es war kein „Zusammenstoß“.
Es war ein angekündigter Mord
an Intellektuellen, Dichterinnen, Musikern,
Aleviten, Linken, Freigeistern,
die es gewagt hatten,
öffentlich zu existieren.
Ein Mob.
Mit Messern. Mit Molotowcocktails. Mit Fatwas.
„Wir brennen das raus, was nicht reinpasst“,
riefen sie.
Und sie taten es.
Die Polizei?
Stand daneben.
Manche lächelten.
Manche halfen, die Straßen freizuhalten.
Staatliche Stellen verhandelten –
nicht mit den Eingeschlossenen,
sondern mit dem Mob.
37 Menschen verbrannten.
Unter ihnen: Metin Altıok, Asım Bezirci, Behçet Aysan, Hasret Gültekin.
Keine Märtyrer. Keine Helden.
Nur Menschen,
die gerne noch gelebt hätten.
Der Ruß klebt bis heute an den Akten.
Die Täter – viele davon frei.
Einige wurden nie gesucht.
Andere sitzen heute in Parlamenten.
Sivas ist kein Brand.
Sivas ist ein System in Flammen.
🩸🩸🩸
IV. WAS DAS AUS MIR GEMACHT HAT
Ich glaube nicht mehr an Götter.
Nicht, weil ich rebellieren will –
sondern weil ich sie gesehen habe,
im Blick der Mörder.
Ich glaube nicht an den Menschen.
Aber ich glaube daran,
dass man nicht schweigen darf,
wenn das Schweigen brennt.
Ich bin Antifaschist,
nicht weil ich Hoffnung habe,
sondern weil ich weiß,
dass Faschismus nicht bei Uniformen anfängt,
sondern bei der Entscheidung,
welches Leben wertvoll ist – und welches entbehrlich.
Ich bin Antifaschist,
weil ich kein Mensch sein kann,
wenn ich es nicht bin.
🖤🖤🖤
V. EPILOG: FEUER BLEIBT
Ich schreibe das nicht für euch.
Nicht für euer Verständnis, eure Likes oder eure Betroffenheit.
Ich schreibe das,
weil ich das Schweigen nicht mehr tragen kann.
Weil man nicht vergessen darf,
was nicht vorbei ist.
Sivas ist nicht Geschichte.
Sivas ist Gegenwart.
Und ich bin einer der wenigen,
die noch reden können.
🧱🧱🧱
VI. HEUTE. UND IMMER.
Ich bin Antifaschist,
weil die Geschichte nicht vorbei ist,
nur weil sie euch nicht betrifft.
Weil in Europa wieder Bücher brennen –
nicht aus Papier,
sondern aus Menschen.
Weil Begriffe wieder sortiert werden
nach Brauchbarkeit, Herkunft, Verwertbarkeit.
Weil Menschen auf Fluchtwegen sterben
und das „Grenzschutz“ heißt.
Weil Parlamentsmikrofone denen gehören,
die uns schon wieder ausradieren wollen –
diesmal höflicher, effizienter, mit Bürokratie.
Ich bin Antifaschist,
weil ich erkenne,
wann es wieder anfängt.
Weil ich das Muster kenne.
Weil ich weiß, wie es riecht,
wenn ein System anfängt zu kokeln.
Ich bin Antifaschist,
nicht als Haltung,
sondern als Reflex.
Nicht aus Ideologie,
sondern aus Notwendigkeit.
Nicht aus Vergangenheit – sondern aus Verantwortung.
Denn wer Sivas kennt,
kann beim nächsten Feuer
nicht so tun,
als wäre es ein Licht.
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